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DIE GIPFELBURG GLEIBERG UND IHR ›NEUES‹ ZIERFACHWERK

Von der zufälligen Entdeckung eines unberührten Schatzes hinter der Fassade des Nassauer Baus

 

Abb. 1:
Das freigelegte Fachwerk an der nordwestlichen Fassade des Nassauer Baus
Foto: Ch. Krienke, LfDH


Zufallsentdeckung durch Sanierungsarbeiten

Gut erhaltenes Zierfachwerk unter der Fassadenverkleidung

Überraschend brachte eine an der nordwestlichen Fassade des sogenannten Nassauer Baus der Burg Gleiberg geplante Außeninstandsetzung jüngst ein filigran ornamentiertes, außergewöhnlich gut erhaltenes Zierfachwerk zum Vorschein. Eine Entdeckung, mit der ein neues Stück Baugeschichte sichtbar wird.

Aufgrund altersbedingter Schäden mussten die in Schiefer ausgeführten Dacheindeckungen und Fassadenverkleidungen der Obergeschosse des Nassauer- und Albertus-Baus schon vor über zwei Jahrzehnten erneuert werden. Hiervon ausgenommen war damals lediglich die noch intakte Verschieferung an der wettergeschützten Hofseite des Nassauer Baus. Eine Maßnahme, die in den Sommermonaten 2023 nachgeholt werden sollte. Völlig unerwartet wurde dabei ein schmuckvoll gestaltetes Eichenholz-Fachwerk freigelegt (Abb. 1).

Etwa die Hälfte der Fassade ist zwar von einem in den 1880er-Jahren angebauten und 1969/70 erweiterten Treppenaufgang verdeckt, doch wird angenommen, dass sich das Zierfachwerk in symmetrischer Ausformung über die gesamte Fassadenlänge erstreckt.

DIE GIPFELBURG GLEIBERG

ZUR BAUHISTORISCHEN EINORDNUNG

Im 10. Jahrhundert als Stammsitz der Gleiberger Grafen gegründet, ging die gleichnamige Burg 1328 durch Erbschaft an die Grafen von Nassau. Die vorhandene Oberburg ergänzten sie in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts durch eine Unterburg, bestehend aus zwei rechtwinklig angeordneten Gebäudeteilen, den sogenannten Albertus-Bau und den Nassauer Bau. Nach Zerstörungen infolge des Dreißigjährigen Krieges blieb die Oberburg seit 1646 Ruine, während die Unterburg wiedererrichtet wurde. Wie der ›Dingzettel über den schloßbav zu Gleiberg‹ im Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden belegt, beauftragte Graf Ernst Casimir von Nassau-Weilburg im März 1653 den in Herborn ansässigen Bau- und Werkmeister Christoph Stroh mit den Zimmermannsarbeiten. Aufbauend auf dem zum Teil erhaltenen massiven Untergeschoss des Vorgängerbaus, sollte dieser einen ›holtzbaw‹ errichten. Auf Grundlage der Untersuchungsergebnisse des Bauforschers Matthias Kornitzky und der Kunsthistorikerin Antje Spohr vom Freien Institut für Bauforschung und Dokumentation e. V. (Marburg) kann die freigelegte Fachwerkfassade ebendieser Bauzeit zugeordnet werden. Auch die üppige Auszier passt stilistisch zu dieser Datierung. Vergleichbare Schmuckformen finden sich etwa zum Teil an Fassaden prägnanter Herborner Bürgerhäuser, die dem Baumeister Stroh bekannt gewesen sein dürften.


BESONDERE SCHMUCKFORMEN

Konzeptuell scheint die Auszier am Nassauer Bau konsequent auf die in der Wandgliederung abzulesenden Fensterachsen abgestimmt zu sein. Während die einzige noch vorhandene Fensteröffnung besondere Betonung durch ein darüberliegendes, mit Flechtband verziertes Ochsenauge und eine darunter eingebundene, floral verzierte Rautenkartusche findet, lassen die übrigen Verzierungen vier weitere, wenn auch geschlossene, Fensterfelder erahnen. In den darüberliegenden Gefachen sind sie durch senkrechte Zierhölzer betont, die je zwei übereinanderliegende Fächerrosetten zeigen. Drei davon weisen ein eingeritztes ›Sonnen-Gesicht‹ auf. In den Brüstungsfeldern finden die beiden mittleren Fensterachsen Betonung durch je einen geschweiften Feuerbock. Eingefasst und konstruktiv gesichert wird der Wandabschnitt von rechts und links ansetzenden halben Mann-Figuren, die die im oberhessischen Fachwerkbau typischen weit ausgestellten Fußstreben zeigen.

ERGEBNISSE DER RESTAURATORISCHEN UNTERSUCHUNG

Eine detaillierte Untersuchung des Schnitzwerks durch den Diplom-Restaurator Hanno Born (Lich) hat zum Teil Unregelmäßigkeiten in der Formgebung und Schnittführung erkennen lassen, was zusammen mit unterschiedlichen Verwitterungsgraden möglicherweise auf eine Zweitverwendung einzelner Hölzer hindeutet. Eine Frage, die sich bislang jedoch ebenso wenig mit Gewissheit beantworten lässt, wie die Frage danach, ob und inwieweit das Fachwerk des Vorgängerbaus aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts als Vorbild gedient haben könnte. Als gesichert gilt hingegen, dass die Fassade zu keiner Zeit farbig gefasst war. Auch zeigen die augenscheinlich noch bauzeitlichen Gefachfüllungen stellenweise lediglich einen kellengeglätteten Strohlehmverputz. Ein aufwertender Oberputz war wohl weder aus- geführt noch vorgesehen. Vereinzelt erhaltene Spuren einer Rotfärbung können indes dem Herstellungsprozess zugeordnet werden: Die teils mehrfach überlagerten und korrigierten Konturstriche in ölgebundenem Rötelstift dienten als Vorzeichnungen (Abb. 2).

WAS NUN?

DAS INSTANDSETZUNGSKONZEPT

In gemeinsamen Gesprächen mit dem Restaurator, der Denkmalpflege und dem Gleiberg-Verein, der sich seit seiner Gründung 1837 dem Erhalt der Burg widmet und seit 1879 deren Eigentümer ist, fiel schnell die einstimmige Entscheidung für eine fachwerksichtige, restauratorische Sicherung.

Vorrangiges Ziel ist neben dem Substanzerhalt, das Fachwerk als historisches Zeugnis der Burgbaugeschichte möglichst unverändert sichtbar zu lassen. Um die weitestgehend unberührten Oberflächen unverändert zu erhalten, wird auf einen Anstrich der Hölzer sowie auf einen zusätzlichen Oberputz auf den Gefachen verzichtet. Wie vorab an Musterflächen erprobt, werden die Hölzer stattdessen behutsam trocken gereinigt, Fehlstellen in den Gefachfüllungen verschlossen und nach Bedarf punktuelle Sicherungen durchgeführt.

Ob darüber hinausgehende konservatorische Maßnahmen erforderlich werden, wird ein regelmäßiges Monitoring zeigen.

 

Hannah Völker

Abb. 2:
Volute mit gerollter Schneckenform und geschweift geführtem Schuppenornament. Gut zu erkennen sind die erhaltenen Rötelspuren der Vorzeichnung.
Foto: Ch. Krienke, LfDH